Ein Digitalagent für Jenas Schulen
Seit September 2024 hat Jena einen Digitalagenten: Im Gespräch mit DigiDo erklärt Christoph Voigt, wie er im Rahmen des Smart City-Projekts Schulen in Jena auf ihrem Weg zur Digitalisierung begleitet. Unterstützt wird er dabei von Felix Blumenstein, einem Experten für digitalisierte Bildungsinstitute. Gemeinsam berichten sie von ihren Aufgaben, Zielen und Herausforderungen und erläutern, wie sie digitale Technologien sinnvoll in den Unterricht integrieren, um auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler:innen einzugehen. Ihr Ziel ist es, eine zukunftsfähige und flexible Schule zu schaffen, die digitale Kompetenzen stärkt, Chancengerechtigkeit fördert und individualisierten Unterricht ermöglicht.
Der "Digitalagent für Schulen" ist eine Maßnahme des Smart City-Projekts Jena und gehört zum Handlungsfeld 3 (Bildung, Kultur und Soziales). Es ist im Medienzentrum der Schulverwaltung Jena angesiedelt, das auch an der gemeinsamen Entwicklung der Idee beteiligt war.
Christoph, du bist seit September 2024 als Digitalagent an Jenaer Schulen unterwegs. Was sind deine zentralen Aufgaben, und was treibt dich in deiner Arbeit besonders an?
Christoph Voigt: Meine Aufgabe als Digitalagent ist es, Jenaer Schulen auf ihrem Weg zur „smarten Schule“ zu unterstützen und digitale Technologien nachhaltig in den Schulalltag zu integrieren. Um dies nachhaltig umzusetzen, bedarf es im ersten Schritt einer tiefergehenden Analyse des aktuellen Standes der in das Projekt aufgenommenen Schulen. Hierbei werden verschiedene Ebenen der Schulentwicklung in den Fokus genommen, um nach der Analyse mit den Schulen gemeinsam Entwicklungsschritte zu definieren. Aus diesen Schritten werden Maßnahmen abgeleitet, bei deren Umsetzung ich die Schulen eng begleiten werde. Das Innovative an dem Projekt ist, dass es eine Leerstelle zwischen Bereitstellung der Technik und deren nachhaltiger pädagogischer Implementierung in den Schulalltag füllt.
Ich bin dankbar für die Möglichkeit, meinen Beitrag zur Entwicklung von Schulen in einer Kultur der Digitalität leisten zu können. Digitalisierung soll nicht dazu genutzt werden, bewährte Methoden, die das Lernen unterstützen, abzuschaffen. Stattdessen soll sie als Chance verstanden werden, neue Möglichkeiten und Ansätze für den Unterricht zu schaffen und auszuprobieren. Es geht also nicht um ein Entweder-oder, sondern um eine sinnvolle Erweiterung und Bereicherung.
Digitale Technologien und Anwendungen ermöglichen es, auf die individuellen Voraussetzungen der Schüler:innen und auch deren Eltern passgenau einzugehen und somit der digitalen Spaltung entgegenzuwirken und Chancengerechtigkeit zu ermöglichen.
Felix, du hast ebenfalls eine umfangreiche Expertise und jahrelange Berufserfahrung im Bereich „digitalisierte Bildungsinstitute“. Seit Januar unterstützt du Christoph in seiner Arbeit als Digitalagent. Was sind deine Aufgaben?
Felix Blumenstein: Ich unterstütze Christoph als externer Sparringspartner mit meinem Hintergrundwissen und den praktischen Erfahrungen aus ähnlichen Projekten. Meine Hauptaufgabe ist es, darauf zu achten, dass wir die individuellen Ausgangssituationen der Schulen und unsere Zielsetzungen im Blick behalten. In unserer Arbeit zeige ich außerdem typische Stolpersteine auf. So helfe ich Christoph, die digitale Transformation der Schulen voranzubringen.
Wie geht ihr konkret vor, um Schulen auf ihrem Weg zur Digitalisierung zu begleiten?
Christoph: Aktuell wurden unsere ersten drei Startschulen auf Basis verschiedener Kriterien identifiziert und für das Projekt gewonnen. Im Rahmen von Leitfrageninterviews werde ich mir nun einen Überblick über Herausforderungen, Erfolge und Haltungen zum Thema Digitalisierung verschaffen. Da neben der Technik auch die eingesetzte Software eine enorme Auswirkung auf den Prozess in den Schulen hat, verfolge ich kontinuierlich aktuelle Entwicklungen.
Zusammen mit Expert:innen vom „Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien“ (ThILLM) werden wir zeitnah spezielle Fortbildungsangebote für Lehrkräfte entwickeln. Diese sollen zeigen, wie man digitale Tafeln effektiv im Unterricht einsetzt – und zwar so, dass es dem aktuellen Forschungsstand zufolge das Lernen der Schüler:innen fördert.
Um Schulen besser zu unterstützen, werden wir kontinuierlich daran arbeiten, Ressourcen im Umfeld der Schulen (z. B. lokale Angebote, Kooperationen oder Expert:innen) zu identifizieren und einzubinden. Netzwerkarbeit spielt dabei eine zentrale Rolle.
Felix: Das Gute ist, dass Schulen, die jetzt in die Digitalisierung starten, nicht die Ersten sind – wir wissen inzwischen, welche Lösungen und Konzepte sich bewährt haben, um Lehrkräfte in ihrem Alltag digital zu unterstützen. Dabei geht es nicht darum, immer die neuesten Technologien einzusetzen oder jede Schule umfangreich mit Tablets und Künstlicher Intelligenz (KI) auszustatten. Viel wichtiger ist es, das Arbeiten in einer digitalen Umgebung neu zu denken – kooperativer, nachhaltiger und langfristig angelegt. Dieser Wandel erfordert auch eine Veränderung der Einstellung. Die Bereitschaft dazu kann man nicht von heute auf morgen erzwingen, sondern sie muss individuell wachsen. Unsere Aufgabe ist es, diesen Prozess bestmöglich zu begleiten und zu unterstützen.
Was sind aus eurer Sicht die größten Herausforderungen bei der Digitalisierung der Schulen?
Christoph: Eine besondere Herausforderung war die Auswahl der Startschulen, da fast alle Schulen der engeren Auswahl starkes Interesse an einer Begleitung durch den Digitalagenten geäußert haben. Darüber hinaus brauchen natürlich auch die Pädagog:innen Zeit, sich mit dem Thema vertraut zu machen. Die Arbeitsbelastung ist an allen Schulen sehr hoch. Sich trotzdem auf den Weg zu machen und das Thema strukturiert anzugehen, ist nur durch das Engagement über die alltäglichen Aufgaben vor Ort hinaus möglich.
Felix: Dem kann ich mich nur anschließen. Aus meiner Sicht liegt die größte Herausforderung der Digitalisierung darin, dass die Umstellung von analogen auf digitale Prozesse oft zunächst zusätzlichen Aufwand bedeutet, ohne dass der Mehrwert sofort sichtbar wird. Digitalisierung allein verbessert einen Prozess noch nicht automatisch – sie überträgt ihn zunächst nur ins Digitale. Für Lehrkräfte, die ohnehin schon eine Vielzahl an Aufgaben im Alltag bewältigen müssen, kann dieser zusätzliche Aufwand schnell das K.-o.-Kriterium sein.
Deshalb ist es wichtig, den reinen Digitalisierungsprozess möglichst schlank zu gestalten und schnell in den Bereich der digitalen Transformation überzugehen. Dabei geht es darum, Arbeitsweisen zu entwickeln, die die Stärken digitaler Technologien gezielt nutzen, um Zeit zu sparen, effizienter zu arbeiten und Lehrkräfte tatsächlich zu entlasten. Dafür ist zunächst natürlich ein gewisser Zusatzaufwand notwendig, aber wir können bereits auf bestehende Erfahrungen und bewährte Ansätze zurückgreifen.
Welche positiven Erfahrungen habt ihr bisher gemacht?
Christoph: Die ersten drei Monate verliefen aus meiner Sicht sehr positiv! Sie haben mir gezeigt, dass der Wechsel zum Smart City-Projekt in meiner Rolle als Digitalagent genau die richtige Entscheidung war. Ich bin hochmotiviert, gemeinsam mit den Pädagog:innen und dem Schulträger digitale Medien für eine gute Bildung sinnvoll einzusetzen.
Es ist toll zu sehen, was Schulen möglich machen können, wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Es gibt viele Pädagog:innen, die etwas im Sinne der Kinder verändern wollen und den Anforderungen der heutigen Zeit mit guten Ideen und Engagement begegnen. Das Thema KI wird in meinen Augen noch vieles verändern. In den Schulen ist es angekommen und allen ist klar, dass sie die Augen davor nicht mehr verschließen können.
Was ist euer langfristiges Ziel für die Digitalisierung der Schulen in Jena?
Felix: Wenn wir über langfristige Ziele sprechen, steht für mich im Mittelpunkt, dass Schüler:innen glücklicher und erfolgreicher die Dinge lernen können, die sie auf ihr Leben vorbereiten. Wenn wir es schaffen, die individuellen Ausgangslagen der Schüler:innen zu berücksichtigen und darauf abgestimmte Lernangebote zu schaffen, erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit deutlich, dieses Ziel zu erreichen. Ich bin überzeugt, dass wir dieses Maß an Individualisierung mit den klassischen, analogen Methoden kaum umfassend realisieren können. Digitale Technologien eröffnen uns hier ganz andere Möglichkeiten. Genau deshalb sehe ich die Digitalisierung als unverzichtbaren Bestandteil moderner Bildung – nicht als Selbstzweck, sondern als Werkzeug, um nachhaltige und wirkungsvolle Lernerfahrungen zu ermöglichen.
Christoph: Um das hinzubekommen, muss sich aber auch die Rolle der Lehrkräfte weiterentwickeln: Lehrende müssen sich selber als Lernende verstehen, um Schülerinnen und Schüler bestmöglich auf ihrem Bildungsweg zu unterstützen. Dabei sollten sie digitale Tools und Techniken nicht mehr als Zusatzaufgabe, sondern als Bereicherung für ihren Schul- und Unterrichtsalltag verstehen.
Für mich bedeutet eine „smarte Schule“ nicht nur die umfassende Nutzung digitaler Möglichkeiten. Sie zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie flexibel auf Herausforderungen reagieren kann und sich als lernende Gemeinschaft versteht. Dabei arbeiten Lehrkräfte, Schüler:innen, Eltern und alle anderen Beteiligten eng zusammen, um dieses Konzept im Schulalltag zu leben.
Wie fügen sich diese Ziele in das übergeordnete Smart City-Projekt ein, das die Tätigkeit des Digitalagenten als Teilmaßnahme unterstützt und finanziert?
Christoph: Der Digitalagent setzt gezielt alle festgelegten Ziele des Smart City-Projekts um: Teilhabe und Selbstbestimmung zu fördern, indem passgenaue Angebote entwickelt werden, die die digitalen Kompetenzen von Lehrkräften, Kindern und Eltern stärken. Damit diese Entwicklung professionell vorangetrieben werden kann, ist ein gut strukturierter und durchdachter Ansatz nötig. Digitalisierung wird dabei greifbar und sinnvoll, wenn alle Beteiligten im Schulsystem langfristig einen echten Mehrwert davon haben. Ihre Förderung muss als eine unverzichtbare Notwendigkeit betrachtet werden – sie ist kein „Nice to have“, sondern ein „Must have“, um den Unterricht zukunftsfähig zu gestalten und die Schüler:innen optimal auf die Herausforderungen der digitalen Welt vorzubereiten.
– eine Maßnahme des Smart City-Projekts Jena – Das Projekt gehört zum Handlungsfeld 3 (Bildung, Kultur und Soziales) und ist Medienzentrum der Schulverwaltung Jena angesiedelt, das auch an der gemeinsamen Entwicklung der Idee beteiligt war.
Sie haben Fragen zu diesem oder einem anderen DigiDo-Beitrag? Nehmen Sie gerne Kontakt zu uns auf, wir freuen uns auf Ihr Feedback.
- E-Mail: smartcity@jena.de
- Tel.: 0049 3641 49-2019
- oder auch via Facebook auf dem Jena Lichtstadt-Kanal unter dem aktuellen #DigiDo
... Christoph Voigt
Christoph Voigt, Magister in Soziologie und Erziehungswissenschaften, bringt umfassende Erfahrung in der Kinder- und Jugendhilfe sowie in der Medienpädagogik mit. Er leitete Modellprojekte zu digitaler Zivilcourage, Kinderrechten und Jugendmedienschutz und war an thüringenweiten Fachtagen sowie Konzeptentwicklungen beteiligt. Mit einer systemischen Beratungsausbildung und einem Zertifikatsstudium als pädagogischer Organisationsberater adressiert er Herausforderungen wie digitale Ungleichheit und entwickelt Strategien zur Förderung einer digitalen Schulkultur. Seine Arbeit verbindet Perspektiven aller schulischen Stakeholder, um Schulen ganzheitlich in ihrer Entwicklung zu unterstützen.
... Felix Blumenstein
Felix Blumenstein studierte Informatik sowie Wirtschaftslehre und Recht auf Lehramt in Jena und entdeckte während seines Praxissemesters 2013 sein Interesse an neuen Technologien im Schulkontext. Die ungenutzte interaktive Tafel an seiner Einsatzschule im Praxissemester weckte seinen Wunsch, Lehrkräfte dabei zu unterstützen, digitale Medien besser in den Unterricht zu integrieren. Ab 2014 gab er Fortbildungen für Lehrkräfte, erkannte jedoch schnell, dass nachhaltige Veränderungen tiefere Ansätze erfordern. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Leipzig vertiefte er ab 2018 seine Kenntnisse in Schulentwicklung, Bildungsföderalismus und Bildungspolitik. Heute ist er Digitalisierungskoordinator des LemaS-Forschungsverbundes und beschäftigt sich mit den komplexen Herausforderungen der Digitalisierung an Schulen.
Mehr über Felix Blumenstein gibt es auf seiner Webseite.